Wer sich für lebensunwert hält, dem muss beim Einschläfern geholfen werden

Kommentar von Alexandra Linder zum heutigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezüglich § 217 StGB

Vorrang der Menschenwürde, Förderung der palliativen Versorgung, liebevolle Mitmenschlichkeit, Suizidprävention, Hospizförderung – all das war gestern. Ab morgen gibt es einen Anspruch auf die Bereitstellung von Tötungsmöglichkeiten und -mitteln, mit denen man früher nur Tiere eingeschläfert hat. Ab morgen ist keine Begründung oder Voraussetzung mehr notwendig, um die begleitete Selbsttötung zu verlangen. Zustände wie zum Beispiel eine unheilbare Krankheit werden vom Gericht als „fremddefinierte Situationen“ bezeichnet, auf die der assistierte Suizid nicht beschränkt werden dürfe. Das bedeutet: Wer sterben will, egal wann und warum, darf seine Umgebung fortan dazu zwingen, ihm dabei zu helfen.

Wenn demnächst Ihre 16-jährige Tochter Liebeskummer hat und auf das Fensterbrett steigen will, um zu springen, dürfen Sie nicht nur, sondern müssen Sie sogar einen Stuhl hinstellen und den Blumenkasten wegräumen, damit sie freie Bahn hat. Das Gericht nennt das tatsächlich „hinreichenden Raum zur Entfaltung und Umsetzung“ einer Selbsttötungsabsicht. Im Gegensatz dazu dürfen Sie Ihre Tochter eigentlich nicht mehr vom Springen abhalten, denn das Verhindern eines Suizidversuchs verstößt faktisch gegen das heute vom Bundesverfassungsgericht verkündete, ins Extreme getriebene und die Autonomie pervertierende „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ – das jedoch, wie die Suizidforschung belegt, in der Regel ganz und gar nicht selbstbestimmt, frei oder autonom entschieden wird.

Jeder, der sein Leben für lebensunwert hält, egal aus welchem Grund, hat von nun an Anspruch auf Tötungsbeihilfe. Das ist ein Abschied vom humanen Rechtsstaat, der auf Grundlage der unantastbaren Menschenwürde kein „unwertes“ Menschenleben kennt und keines kennen darf, will er human sein. Der nächste konsequente Schritt wird die Euthanasie sein, die in unserem Land 75 Jahre lang ein Unwort und undenkbar war. Denn wer will bei einer solchen Rechtsauffassung von der Würde des Menschen künftig jemandem, der sich töten will, es aber nicht selbst tun kann, sein Sterberecht verweigern?